„Grünes“ Rechenzentrum? Was ist das eigentlich genau?
Energiekrise, Klimawandel, Rezessionsängste, Digitalisierung, KI – die Liste der aktuellen Herausforderung für Unternehmen und Gesellschaft ist lang. Die modernen grünen Rechenzentren sind hier ein Schlüssel für die erfolgreiche Gestaltung der Zukunft.
Interview mit Tobias Altemeier (Foto) zu klimafreundlichen Rechenzentren in Deutschland.
Herr Altemeier, um direkt auf den Punkt zu kommen… was ist für Sie ein grünes Rechenzentrum?
Altemeier: (Lacht) Tja, das nicht so ganz einfach zu beantworten. „Grünes Rechenzentrum“ ist kein eindeutiger oder geschützter Begriff – manche empfinden ein Rechenzentrum schon als „grün“ wenn es mit Ökostrom – z.B. aus Wind- oder Solarkraft betrieben wird. Nach meinen Erfahrungen reicht das bei Weitem nicht aus.
Gibt es denn keinen einheitlichen Kriterienkatalog an der „grüne“ Rechenzentren definiert und an den man sich halten kann?
Altemeier: Eben nicht. Es gibt allerdings vielversprechende Konzepte oder auch Zertifizierungen die versuchen ein Rechenzentrum ganzheitlich zu betrachten. Der blaue Engel z.B. hat einen Anforderungskatalog an die Energieeffizienz von Rechenzentren, den ich für sinnvoll halte, oder auch der Entwurf des neuen EnEfG (Anm. d. Red: Gesetz zur Steigerung der Energieeffizienz in Deutschland) fordert weit mehr als nur die Verwendung von Ökostrom. Aber im Grunde darf aktuell das Marketing jedes Rechenzentrum als „grün“ bezeichnen, selbst wenn es nur deswegen gemacht wird, um „sich gut zu verkaufen“.
Sie betreiben und bauen nun schon seit über 25 Jahren Rechenzentren Herr Altemeier, wie sehen Sie das persönlich?
Altemeier: In den letzten Jahren hat sich eine 4-schichtige Betrachtungsweise etabliert. Als Erstes wird der Standort an sich betrachtet, dann der Energiebezug, dann die Reduzierung von Energieverbräuchen und letztendlich die Wärmerückgewinnung- und Nutzung.
Okay, das ging mir jetzt zu schnell (Lacht). Könnten Sie das etwas mehr erläutern?
Altemeier: Die Standortwahl ist essentiell. Ein Rechenzentrum, das in einer Region steht, die z.B. mehr Strom durch Windkraft, Solar oder Wasserkraft erzeugt, als dort selbst verbraucht, ist ideal für den Betrieb von Rechenzentren – denn da kommt „physisch“ grüner Strom aus der Steckdose und Überkapazitäten können genutzt werden.
Als Zweites ist natürlich ebenso der vertragliche Strombezug relevant. Hier sollte auf „echten“ Ökostrom geachtet werden – also das, was verbraucht wird sollte auch faktisch „grün“ produziert eingespeist werden.
Einer der wichtigsten Aspekte ist jedoch sicherlich die effiziente Nutzung des knappen „Wirtschaftsgutes“ Ökostrom…
Moment, wenn doch genug Ökostrom vorhanden ist, warum ist es dann relevant?
Altemeier: Es ist eben nicht genug Ökostrom vorhanden. Denn das, was nicht verschwendet wird, steht anderen Konsumenten zur Verfügung. Auch wenn es heute z.B. in Gebieten mit viel Windkraftanlagen Überkapazitäten gibt – wird sich das mittelfristig durch den Bau von neuen Hochspannungstrassen erledigen. Der wichtigste Ansatz ist und bleibt die Einsparung von Energie.
Das ist ungefähr so, als würde ich ein neues Haus bauen ohne jegliche Dämmung, mit einfach verglasten Fenstern bis hin zu und alten Wolfram-Glühbirnen. Der Energieverbrauch könnte mir egal sein nur, weil ich meinen Strom mit Sonne oder Wind selbst herstelle. Das ist weder nachhaltig, noch grün oder klimafreundlich.
Aber wollen nicht alle Betreiber von Rechenzentren auch Energie sparen?
Altemeier: Grundsätzlich sollte man das meinen, aber bei klassischen Colocation-Rechenzentren bezahlt der Kunde den Strom. Da wird die Ineffizienz mit einem hohen PUE einfach auf den Strompreis aufgeschlagen, oder der Strompreis ist von vorne herein sehr hoch bzw. mit viel Marge berechnet. Effiziente Klimatisierungskonzepte sind teuer – der Betreiber kann also einfach ineffizient arbeiten und sich dieses von den Kunden bezahlen lassen.
Eine hohe Gewinnerzielungsabsicht ist hier häufig gerade bei Rechenzentren zu finden, die von Gruppen oder Konzernen betrieben werden. Dort geht es schlicht um den schnellen ROI (Anm. d. Red.: Return of Investment).
Und wie erreicht man nun die bestmögliche Energieeinsparung?
Altemeier: Der Blaue Engel verlangt z.B. einen PUE von maximal 1,25, für Rechenzentren die ab 2024 in Betrieb gehen sowie einen CER, die Energieeffizienz des Kühlsystems von größer 9.
Der aktuelle Entwurf des EnEfG verlangt ab 2026 sogar einen PUE kleiner oder gleich 1,2. Das bedeutet das für Notstrom und Klimatisierung maximal ein Overhead von 20% Energie verwendet werden darf. PUE-Werte von unter 1,2 und CER > 9 sind mit herkömmlichen Klimatisierungskonzepten mit Kaltwassersätzen und ggf. indirekter freie Kühlung nicht mehr zu erreichen.
Und im Rahmen der globalen Klimaerwärmung wird die Effizienz dieser Systeme weiter sinken, da diese maßgeblich von der Witterungstemperatur abhängig ist.
Um die maximale Energieeffizienz zu erreichen sind Konzepte mit direkter freier Kühlung oder auch Adiabatik, auch bekannt als Verdunstungskälte, notwendig. Wobei letzteres eigentlich nur die eine Ressource „Strom“ gegen die Andere „Wasser“ tauscht – nicht sehr nachhaltig.
Der letzte Punkt – und damit auch der Wichtigste ist die Wärmerückgewinnung, also die Nutzung der Abwärme der Server…
Erlauben Sie mir bitte eine Zwischenfrage! Das sind jetzt viele Zahlen und fachspezifische Kenngrößen, vielleicht können wir das zum Verständnis runterbrechen auf die Frage: Warum nutzen dann nicht alle Betreiber von Rechenzentren eine direkte freie Kühlung oder Adiabatik?
Altemeier: So einfach ist das leider alles nicht. In Bestandsgebäuden, die häufig nicht mal für den Betrieb eines Rechenzentrums gebaut wurden, sind effiziente Klimatisierungskonzepte z.B. aufgrund der Statik, des Brandschutzes oder der örtlichen Gegebenheiten nicht umsetzbar.
Adiabatik verbraucht zudem viel Wasser – oder benötigt aufwändige Wiederaufbereitungsanlagen – welche wiederum ebenso viel Strom benötigen. Man beschönigt damit quasi den eigenen PUE und verbraucht stattdessen eine andere knappe Ressource.
Vielen Dank für die Erläuterung. Sie erwähnten bereits die Nutzung der Abwärme der Server – ein sehr spannendes Thema wie ich finde…
Altemeier: Ja absolut! Nicht ohne Grund hat ja auch der Gesetzesentwurf des EnEfG ganz klar die Pflicht zu Abwärmenutzung mit aufgenommen. Nachhaltige und zukunftsfähige Rechenzentren müssen in Zukunft die Abwärme weiterverwenden.
Können Sie kurz das Prinzip der Abwärmenutzung erläutern?
Altemeier: Gerne. Jeder Server verbraucht Strom, welcher nahezu 100% in Wärme umgewandelt wird. Diese Wärme wird in herkömmlichen Rechenzentren durch Klimaanlagen „nach draußen gepumpt“. Sie „verpufft“ somit ungenutzt in der Umwelt. Oder um es anders auszudrücken: Eine riesige Ressourcenverschwendung.
Im Prinzip ist der Server also eine Heizung, deren Wärme ungenutzt in den Himmel steigt.
Die Wärmerückgewinnung ermöglicht nun die Verwendung dieser Energie z.B. für das Beheizen von Gebäuden, Schwimmbädern oder anderen – hoffentlich sinnvollen – Abnehmern. Das EnEfG sieht dafür auch eine räumliche Nähe von Rechenzentren zu Wärmeabnehmern vor – nur so kann die Wärme effizient genutzt werden.
Also keine neuen Rechenzentren mehr weit draußen auf der grünen Wiese?
Altemeier: Nein – denn dann kann die Wärme nicht mehr nutzbar gemacht werden. Beim Transport über weite Strecken geht zu viel Energie verloren.
Ich verstehe, Rechenzentren sind dann sowas wie Zentralheizungen für die Nachbarschaft. Aber jetzt nochmal zurück zur Ausgangsfrage: Woran erkenne ich jetzt ein wirklich grünes Rechenzentrum? Ich lerne gerade, dass das Thema ja doch komplexer ist als ich dachte…
Altemeier: Kant hat mal gesagt: Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. (Lacht).
Nein im Ernst… einfach selbst mal nachdenken und den Verstand einschalten und nicht auf das gute Marketing des Anbieters hereinfallen. Man muss auf die Kenngrößen achten. Fakten checken ist hier wichtig.
Nutzt der Anbieter die Abwärme? Versucht er alles um Energieverschwendung zu vermeiden? Ist der tatsächliche PUE kleiner als 1,15? Geht er auch mit anderen Ressourcen gut um? CO2 Bilanz? Wasser Bilanz? Nutzt er innovative Klimatisierungskonzepte? Alles Faktoren, die ein grünes Rechenzentrum ausmachen.
Nur Ökostrom aus Windkraft oder Wasserkraft zu nutzen – das reicht heute nicht mehr aus. Für mich ist das dann eher ein gelbes Rechenzentrum als ein grünes.
Aber es gibt doch auch einige experimentelle Rechenzentren die augenscheinlich sehr grün sind?
Altemeier: Natürlich gibt es Experimente – die Erprobung von neuen Konzepten ist wichtig. Sie können auch in der Arktis ein Rechenzentrum bauen das sie dann gar nicht kühlen müssen. Oder eins in einer Kapsel im Meer versenken, wie Microsoft damals.
Aber letztendlich darf man auch nicht vergessen, dass viele Menschen von den Diensten in diesen Rechenzentren mittlerweile abhängig sind. Es gibt klare Normenwerke die beschreiben wie Rechenzentren aussehen sollen um eine höchstmögliche Verfügbarkeit und Sicherheit zu bieten.
Krankenhäuser, Notdienste oder auch unternehmenskritische Prozesse sind abhängig von der Verfügbarkeit, Integrität und Sicherheit eines Rechenzentrums.
Alle Effizienzmaßnahmen oder auch die Wärmerückgewinnung dürfen keine Auswirkung auf den eigentlichen Zweck eines Rechenzentrums haben: Die höchste Sicherheit für die eigenen Daten. Ich persönlich würde meine kritischen Daten nicht in einem Experiment hosten.
Sie sprechen den Punkt der Sicherheit an. Sind experimentelle Rechenzentren etwa nicht sicher?
Altemeier: Selbstverständlich können Sie ein Rechenzentrum in einem ehemaligen Bergwerk in den Bergen oder weit außerhalb von Städten betreiben. Aber die Abwärme ist dann futsch, die Leitungslängen bis dorthin lang und anfällig für Störungen oder die Anfahrt für Service-Techniker ewig. Es ist niemand vor Ort der täglich mal nach dem Rechten schaut, das ist nicht sehr sicher.
Und mal ehrlich – egal wo – wenn ich in einem Rechenzentrum einen Schutzhelm oder einen Schutzanzug tragen muss – dann stimmt irgendetwas nicht. Rechenzentren müssen sicher für Daten und Menschen sein.
Ich persönlich möchte in keinem Rechenzentrum arbeiten das nicht mindestens 2 Notausgänge hat. Sonst steckt man im Brandfall in der Falle. Und das es in Rechenzentren, trotz aller Schutzmaßnahmen, auch mal brennen kann, haben wir ja jüngst in Frankreich gesehen. Daher gibt es ja extra Normen für betriebssichere Rechenzentren die beides sicherstellen: Höchstmögliche Sicherheit für Mensch – und – Maschine.
Aber ist es denn nicht ökologisch sinnvoll ein Rechenzentrum in einem Bestandsgebäude zu errichten? Das Gebäude steht doch schon und muss nicht extra gebaut werden.
Altemeier: Ja und nein. Insofern die Hauptkriterien wie Wärmerückgewinnung und effiziente Klimatisierung sowie Brandschutz räumlich umzusetzen sind – ja. Und natürlich alle Anforderungen an die Betriebssicherheit gewährleistet sind.
Aber z. B. bei der CO2 Gesamtbilanz über Jahre hinweg, zeigt sich oft, dass der optimierte Neubau in der Bilanz besser dastehen kann, weil er eben genau für diesen Zweck errichtet wurde – und alle Effizienz- und Sicherheitskriterien erfüllt. Aus energetischen Gesichtspunkten wohnt man ja auch nicht in einem Altbau nur, weil er schon da war.
Zum Abschluss noch die Frage: Was raten Sie jemandem, der aktuell ein nachhaltiges bzw. grünes Rechenzentrum sucht?
Altemeier: Wer ein wirklich grünes Rechenzentrum für die eigenen Daten sucht muss sich informieren und darf sich nicht von einem grünen Aufkleber blenden lassen. Marketing ist das eine – Fakten das andere.
Immer auf das Gesamtkonzept achten und Zertifikate und Versprechen kritisch hinterfragen. Dann sind wir alle auf einem guten Weg.
(Das Interview im Rahmen der Mitarbeiter-Kommunikation vom 04.10.2024.)